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2004 | 6

Wilhelm Morat

Eröffnung: Samstag, 11. September 2004, 18 Uhr

Ausstellungsdauer: 12. Sept. bis 3. Okt. 2004

Papierobjekte

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Wilhelm Morats Kunst befindet sich nicht auf Papier, sie ist auch nicht aus Papier – nein – Wilhelm Morats Kunst ist das Papier.

Er ist einer der Künstler, die dem Erfinderischen nahe stehen, die nicht das Arbeiten anfangen um eine Botschaft formal zu fassen – um einen Standpunkt zu transportieren – sondern der Rohstoff, das Naturmaterial und das damit Machbare ist die tägliche Arbeit von Wilhelm Morat.

Die Herstellung seiner Papiere im eigenen Atelier ist eine der Grundlagen für seine Arbeit und das man von Arbeit sprechen kann zeigt nicht nur die Fülle an Ausdruck in dieser Ausstellung sondern auch Blattgrößen von 180 x 120, die Wilhelm Morat selbst herstellt und weiterverarbeitet.

Aber Vorsicht – die obige Beschreibung würde noch kein Kunstwerk erschaffen – sie wäre dem Kunsthandwerk gefährlich nahe und das ist Wilhelm Morat beileibe nicht. Schon der handwerkliche Prozeß ist ein künstlerischer, auf dem Weg zum noch nicht gänzlich bestimmten Endergebnis.


Für den Zyklus der Torsis werden zwei noch nasse Papierblätter aufeinandergelegt, dazwischen verschieden starke Kupferdrähte in jeweils unterschiedlicher Anordnung. Mithilfe seiner experimentellen Erfahrung beeinflusst er durch die Anordnung und stärke der Drähte bereits die spätere Form, ohne diese gänzlich festlegen zu können.

Dieses Prozedere passiert auf einem Vakuumtisch. Darauf werden die beiden handgeschöpften Papierblätter mit dem Draht durch Unterdruck miteinander verpresst. Ist Farbe mit im Spiel wird auch diese sofort auf das nasse Papier aufgetragen und durch den Druck mit in das Papier gepresst – die Farbe liegt nicht obenauf sondern durchdringt das Papier und wird Bestandteil des späteren Objektes. Ist das Papier nun bis an seine Grenzen belastet worden, kann er die noch feuchte Materialcollage in Ruhe lassen. Die Ruhe gilt noch nicht für das nun aus sich entstehende Objekt, der Trocknungsprozess ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Zerreißprobe. Das Papier und der Draht müssen während des Feuchtigkeitsverlustes miteinander kämpfen in welcher Form die beiden Materialien miteinander auskommen. Die unterschiedlichen Spannungen ziehen und zerren an den Materialien, die gefundene Endform ist ein Kompromiss zwischen allen beteiligten Materialien und Einflussfaktoren. Und wenn sie nun durch die Ausstellung gehen, können sie bei dem ein oder anderen Torsi noch das Ächzen und Wimmern dieser ertragenen Spannungen hören, gleichzeitig strahlen die Objekte eine Ruhe aus. Es ist der Stolz über das Erreichte – der Frieden nach dem Kampf.


Dieser Ausdruck ist Kunst !


Nicht nur selbst erzeugtes Papier wird verarbeitet – nein, man kann den Eindruck gewinnen, jegliches Papier, das Wilhelm Morat in die Finger bekommt, findet seinen Nutzen – findet durch ihn seinen Platz.

Von ihm gelesene Tageszeitungen werden nicht zum Altpapier gekarrt, um dann später wieder mit neuen Informationen auf seinem Tisch zu landen – er nimmt die einzelnen Seiten und verflechtet diese, strickt sozusagen ein gesellschaftliches Tagebuch – durch ihn unlesbar geworden. Wilhelm Morat verknüpft kollektiv sinnvolle wie unsinnige Medienmeinungen zu einer formalen Form, entzieht der Einzelinformation ihre Bedeutung und verwandelt die Summe in einen lebendigen Standpunkt, der das größere Ganze sichtbar, spürbar werden lässt.

Aber auch die Abhängigkeit von unserer teilweise sehr oberflächlichen Medienflut wird verdeutlicht. So empfindet Wilhelm Morat die Papierknubbel innerhalb der Flechtwerke als Köpfe, man kann die beiden unteren Ende auch als Beine sehen, die teilweise hilflos in der Luft baumeln, als wurde ihnen der Boden entzogen. Die Köpfe, miteinander verstrickt, vertreten alle die gleiche Meinung, die ihnen zugetragenen Informationen unreflektiert wiedergebend, fristen sie ihr verweigertes Dasein.


Stellen sie sich vor, die ganze Medienmaschine würde für einen Monat weltweit komplett eingestellt. Die ganze persönliche und soziale Lebensinformation kann nur noch aus einem selbst und dem unmittelbaren Umfeld entspringen – nach drei Wochen würde nun eine Umfrage zu einem wichtigen existenziellem Thema erhoben – ich denke die Summe der Meinungslosigkeit wäre erschreckend – ja schauerlich.


Die tägliche Arbeit Wilhelm Morats ist auch ein Kampf gegen die allgemeine Meinungslosigkeit. So knüpft er Blatt um Blatt zusammen, um einen eigenen Standpunkt entgegenzusetzen, um seine Meinung zu äußern und diese zur Diskussion zu stellen.


Auch dieser Ausdruck ist Kunst !

Andreas Pytlik
Galerie im Ganserhaus
11. 9. 2004