2004 | 7
LUDWIG SCHARLEröffnung: Sonntag, 17. Oktober 2004, 11 Uhr Ausstellungsdauer: 17. Okt. bis 21. Nov. 2004 JAHRZENTE BILDER |
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Amerang ist ein Dorf im Chiemgau, das ein Bauernhausmuseum, ein Automobilmuseum und ein Schloss hat. In diesem Dorf findet man in einer versteckt liegenden Straße an einer Tür die Aufschrift „Atelier Prof. Ludwig Scharl“. Am Ende eines mit Bildern, leeren Leinwänden und plastischen Objekten vollgestellten Flurs führt links eine Tür ins Atelier des Malers: ein mittelgroßer, rechteckiger Raum. In einer Ecke ein kleiner quadratischer Tisch unter deren Glasplatte kleine Zeichnungen liegen; an den beiden freien Seiten jeweils ein Sessel. Von hier aus „reflektiert“ Ludwig Scharl wohl seine Arbeit, wobei er auf gut 50 Jahre aktives künstlerisches Gestalten zurückblicken kann. Eine Zeit, die auch vom Protest gegen den allgemeinen künstlerischen Trend und dem Widerstand gegen Ignoranz und politisches Herdenverhalten bestimmt war. 17 Jahre als Inhaber des Lehrstuhls für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg haben ihn möglicherweise davor bewahrt, sich künstlerisch auf eine enge Formensprache festzulegen. Und durch seine jahrelange Tätigkeit sowohl in der Ausstellungsleitung im Haus der Kunst als auch in vielen Ausstellungsjurierungen bewegte er sich ständig an der vordersten Linie der zeitgenössischen Kunst. An der gegenüberliegenden Schmalseite des Ateliers stapeln sich, an die Wand gelehnt, seine Gemälde und Grafiken vieler Jahre. Davor zwei Staffeleien; darauf weitere Bilder und Plastiken – auch von befreundeten Künstlern. Dieses Atelier ist auf der einen Seite etwas wie ein Wohnzimmer mit Tisch und Sessel, Ministereoanlage und Glasschrank mit Büchern, ein Schwarzweißfoto an der Wand mit seinem Onkel Josef Scharl und Albert Einstein in Amerika. Andererseits wirkt es wie eine aufgeräumte Werkstatt: ein Raum, der einlädt sich entspannt zurückzulehnen, aber auch konzentriert und diszipliniert zu arbeiten. Während Ludwig Scharl in früheren Jahren noch eng mit der realistische Darstellung verbunden war – im Stil des ‚Neuen Realismus‘ im Gegensatz zu der damals vorherrschenden gegenstandslosen Kunst -, arbeitet er heute gleichwertig in verschiedenen Stilen: konstruktive Farbfeldmalerei neben realistischer, kräftig expressiver Formsprache, aber auch gedeckt verhaltene, politisch satirische Bilder bis hin zu romantischen Landschaften und auf die Linie reduzierte Grafiken. Im Rahmen dieses, die Ausstellung in der Galerie im Ganserhaus begleitenden Katalogs ist es weder beabsichtigt noch möglich, einen auch nur annähernd umfassenden Überblick über Leben und Werk Ludwig Scharls zu geben. Ebenso wie die Abbildungen soll auch dieser Text nur einige Schlaglichter auf einen Künstler werfen, der die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und den Beginn des 21. als leidenschaftlicher Maler und politisch unbequemer Mensch begleitet hat. In Deutschland formierte sich die Gruppe ‚Neuer Realismus‘ bereits 1957, aber erst im April 1961 konnte sie ihre erste Ausstellung im Pavillon des Alten Botanischen Garten in München zeigen. Ein führendes Mitglied war Ludwig Scharl, der mit seinem Gemälde „Jesus und die Reporter“ vertreten war und damit in der Presse große Beachtung fand. Künstlerische Vorbilder waren Max Beckmann, sein ehemaliger Professor an der Münchner Akademie der Bildenden Künste Xaver Fuhr und sein Onkel Josef Scharl. Wie bei diesen, lag auch sein malerischer Schwerpunkt bei der Darstellung von Menschen. Bei Ludwig Scharl gewann der Seelenzustand des Einzelnen an Wichtigkeit, was auch ihm persönlich als politisch engagierten Menschen und überzeugten Pazifisten entsprach. Dies zeigt sich an seinen Porträts von Jean-Paul Sartre, Ernst Bloch (siehe Abbildung im Katalog) oder Albert Einstein. Neben seinen Gemälden hat er immer auch Grafiken – insbesondere Seidendrucke – angefertigt, die naturgemäß aber ungerechtfertigt, eher ein Schattendasein in seinem Werk führen. Sie sind auf die bloße Linie und damit auf das Wesentliche reduziert, ohne Schattierungen oder Übergänge, und schafft damit im Ausdruck sowohl Gewichtigkeit als auch Leichtigkeit. Bekannt sind auch seine Landschaften. Landschaften, denen die Perspektive genommen wurde, bei denen die Blumen im Vordergrund dieselbe Wichtigkeit haben wie die in die Ferne führenden Wege und der Horizont am oberen Bildrand. Diese Landschaften leben von den Formen der Pfade, der Blumen und Bäume, ihrer Farbgebung und besonders ihrer ornamentalen Linienführung. In den vergangenen Jahren hat sich Ludwig Scharl intensiv der nichtfiguralen Malerei zugewandt. Gemälde, die ganz klar strukturiert sind – darunter die Faltungen, die sogenannten Strickmusterbilder bei denen ein dichtes, gleichzeitig aber dynamisches Gewebe die Formen ausfüllt, die Farbflächenbilder mit ihren streng begrenzten Feldern. Formen und Farben sind klar gegliedert und sie stellen, wie er sagt, das dar, was man sieht – die Farbe rot ist die Farbe rot und das Quadrat ist ein Quadrat. Die Formen sind dabei so einfach, dass seine Gemälde für jeden lesbar sind. Ihre Einfachheit führt den Betrachter zurück zu den Wurzeln der Kunst: nicht das Figurale an sich, sondern die Farbgebung, die Formen und ihre strukturale Ordnung sind die Grundelemente, mit denen unsere Gefühle berührt werden, auf denen die Kommunikation zwischen Kunstwerk und Mensch erfolgt. Es steckt kein Sinn hinter den Bildern, sie behandeln nur die Farbe und die Form über die man nicht diskutieren muss – aber natürlich kann und darf -, die keine Geschichten enthalten. Ludwig Scharl, der sich in den letzten Jahren seinen nichtfigurativen Arbeiten zuwendete, um hinter seinem Werk zu verschwinden und dieses konsequenterweise weder signiert noch datiert und damit dem Betrachter den Bezug zu ihm als Künstler nimmt: „Ich wollte, dass sie ihren eigentlichen Wert nicht von der Person her beziehen, sondern von der Sache her!“ Er hat recht damit, wenn er sagt, dass die Beurteilung eines Bildes sehr oft über die Signatur des Kunstwerks läuft. Andererseits lässt sich nun mal das Kunstwerk nicht vom Künstler trennen, was auch Martin Heidegger in seinem Vortrag über den Ursprung des Kunstwerks bemerkte: „Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers. Keines ist ohne das andere.“ Armin Sorge |