2005 | 3
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Nach der Ausstellung im Winckelmann-Museum Stendal, danach in Gotha und Duisburg, kommt die Wanderausstellung «Ostwestlicher Ikarus» nun nach Wasserburg. Im Rahmen des Programmschwerpunktes «Kulturelle Aspekte der deutschen Einigung» hat die Kulturstiftung des Bundes einen «Austauschfonds Ost-West» eingerichtet. Aus Mitteln dieses Fonds gefördert wurde die Wanderausstellung, die die Winckelmann-Gesellschaft konzipiert hat, um erstmals eine Ausstellung zum Ikarusthema aus gesamtdeutscher Sicht zu zeigen und damit die unterschiedlichen künstlerischen Rezeptionsweisen herauszuarbeiten und dessen Instrumentalisierung zu thematisieren. Schon 1980 stellte die Magdeburger KLUBGALERIE ihre 100. Ausstellung unter das Thema Ikarus. Diese Zusammenstellung aktueller DDR-Gegenwartskunst war anschließend auch im Angermuseum Erfurt und im Winckelmann-Museum in Stendal gezeigt worden. Der Kurator des jetzigen Ostwestlichen Ikarus, der Erfurter Kunstwissenschaftler Jörg-Heiko Bruns, war schon 1980 Organisator der Magdeburger Ikarus-Ausstellung. Für ihre Grafiksammlung hatte die Winckelmann-Gesellschaft aus dieser Ausstellung und später aus zahlreichen Künstler-Ateliers Arbeiten zum Thema Ikarus angekauft. Angesichts dieses Fundus entstand die Idee, ost- und westdeutsche Kunst in einer Ikarus-Ausstellung zu vereinen. In Galerien, Nachlässen und Stiftungen und Ateliers wurde zwei Jahre recherchiert, um dem eigenen Bestand Werke verschiedener Künstlergenerationen hinzuzufügen. Die Ausstellung mit über 200 Arbeiten – Grafiken, Malerei, Skulpturen und Animationsfilme – stammen von Künstlern, geboren vor dem 2. Weltkrieg und danach, von Künstlern, die im Osten lebten und einigen, die in den Westen gingen und wenigen, die in die DDR kamen und schließlich auch von jungen Künstlern, die erst nach der Wende ihre Kariere begannen. Der römische Dichter Ovid berichtet in seinen Metamorphosen von Flügeln, die der Bildhauer und Erfinder Dädalus fertigte, um zusammen mit seinem Sohn Ikarus von Kreta zu fliehen. Für Ikarus, der die Mahnungen des Vaters ignorierte, weder der See noch der Sonne zu nahe zu kommen, endete die Flucht tödlich im Meer. In der DDR hatte der Mythos große Brisanz in der Kunst. In dem eingemauerten Land mit abgeschlossenem System war das Ikarus-Thema für viele Künstler Metapher des staatlich gestutzten Freiheitsdranges, der enttäuschten Utopien, der ungestillten Sehnsucht aus der Enge heraus. Die Assemblage «Großer Ikarus» (1970) von Robert Rehfeldt, der eine Mauer auseinander drückt, der «Ikarus im Schussfeld» (1982) von Philip Oeser oder «Ikarus im Land der real existierenden Hindernisse» (1980) von Alfred Traugott Mörstedt transportieren unverhüllt politische Botschaften. Auch im Westen gab es Ikarus-Ausstellungen, so in West-Berlin 1985/86. Häufig stand der Mythos hier als Metapher für den Traum vom Fliegen, aber auch für den Technikwahn und den Fortschrittsgedanken. Künstler nehmen Ikarus auch sehr persönlich. Er fliegt für Wagemut, Erfindungsgeist und Selbstentfaltung, die Gefahr des Scheiterns und der schmerzhaften Bauchlandung eingeschlossen. So liegt der Ikarus von Horst Antes (1976/78) wie ein vom Kreuz gestürzter Heiland mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden. «Nur ein kurzer Augenblick des Glücks» ist der Titel einer Collage (2000) von Harald Lange, dessen Ikarus mit kräftigem Flügelschlag der Sonne entgegenfliegt. Die junge Kathleen Meier zeigt in ihrer Bronze-Skulptur (1999) einen mit angewinkeltem Hinterbein halb in der Luft wenig stabil stehenden «Ikarus – in Erinnerung an den Herbst 1989» mir gebrochenen Flügeln und einem schiefen Mund, einen enttäuschten Ikarus als Jammerfigur für Menschen, die vor 15 Jahren noch riefen «Wir sind das Volk». Ulrike Vonau |